Vielen Dank, sehr geehrte Damen und Herren, für die Gelegenheit, hier zu sprechen. Und ich befürchte bzw. ich nehme an, ich bin als Wirtschaftsminister vor allem eingeladen und gehe auch gleich darauf ein, um einmal die Bedeutung von Kunst und Kreativwirtschaft in Deutschland, im Konzert mit anderen Wirtschaftssparten darzustellen. Ehre, wem Ehre gebührt. Beginnen möchte ich allerdings anders mit einem herzlichen Glückwunsch zum 100-jährigen Geburtstag für die SPIO bzw. für 100 Jahre Filmwirtschaft in Deutschland. Und vielleicht darf ich als Konsument von Filmen, bzw. heute muss ich sagen: als Interessierter der ästhetischen Debatte einmal einsteigen. Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, welche Faszination die Erfindung von Filmen für die Menschen damals bedeutet hat. Welche Leidenschaft und auch welches Staunen es ausgelöst hat, dass Bewegte in Bilder zu bannen und damit dauerhaft verfügbar zu machen. Für mich war das immer verbunden mit einer ästhetischen Reflexion. Walter Benjamins Schrift „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von 1935, also zwölf Jahre nach Gründung der SPIO, ungefähr noch unter dem Eindruck, vielleicht unter dem ästhetischen Schock von Filmwirtschaft, die auf einmal da war. Und wenn Sie sich den Titel des Buches auf der Zunge zergehen lassen: das Kunstwerk, so reden wir einmal von Kunst. Und die Frage ist, was Filmwirtschaft über den ökonomischen Wert hinaus als Kunstform uns heute noch zu sagen hat. Und dann: ein Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Benjamin geht in dieser Schrift, wenn ich mich richtig erinnere, dem Begriff der Aura nach und sagt im Kern, dass das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, also der Film, die Aura, die alten Kunstwerken <innewohnt>, die Einmaligkeit, die sie ausmacht, verliert, um massentauglich zu werden und Mengen anzusprechen, und sucht dann mit einer melancholischen Suchbewegung, wie es wohl gelingen kann, wenn man die Einmaligkeit der Aura, die Einzigartigkeit des Augenblicks bannt, auf eine dauerhafte Vervielfältigung, es gelingen kann, diesen Moment des Erstaunens, Ergriffenwerdens, des Auratischen wieder herzustellen unter ganz anderen technischen Voraussetzungen. Und ich glaube, das ist für Sie, für die Filmbranche und für das, was sie über das Ökonomische hinaus ausmacht, immer noch die entscheidende Frage. Kunst und Filmkunst hat sich in den letzten 100 Jahren durch die Gesellschaft durchgezogen, und ist Spiegel von der Gesellschaft gewesen. <19>35 der Aufsatz von Walter Benjamin: Das ist schon zwei Jahre nachdem die Nazis in Deutschland an die Macht gekommen sind und wenige Jahre vor seinem Tod auf der Flucht vor den Nazis. Und natürlich sind die Filme in der Nazizeit missbraucht worden und haben eingelöst, was Benjamin damals schon beschrieben hatte: nämlich Massen zu manipulieren und zu bestimmen, also das auratische Moment ganz anders eingelöst. Es war wohl ein Faszinosum damals, aber jetzt für das Böseste, was Menschen tun können, eingesetzt und verwandelt worden. Danach die Filmentwicklung an deren vorläufigen Höhepunkt, also 100 Jahre danach, wir heute stehen, über die Digitalisierung des Films, davor der Farbfilm und jetzt dann die Möglichkeit, mit digitalen Techniken, mit künstlicher Intelligenz noch eine weitere Steigerung von animierten Bildern, von verschiedenen Räumen und Zeitsprüngen hinzubekommen. Was macht das mit einer Gesellschaft und was ist die Aufgabe von Filmkunst für eine Gesellschaft? Wahrscheinlich darf ich das in diesem Kreis sagen. 

Wir sind als Gesellschaft das, was wir uns über uns erzählen und die Geschichten, die wir uns erzählen, die schaffen die Gesellschaft, die formen die Gesellschaft. Das hat sich seit den Lagerfeuern der Neandertaler nicht wirklich verändert. Und ein Kinoraum ist im Grunde ein digitales Lagerfeuer, wo sich dann in diesem Raum wahrscheinlich 300, 400 Leute versammeln können. Es gibt auch kleinere. Aber wir teilen für einen gewissen Moment den gleichen Raum, die gleiche Zeit und selbst die Vervielfältigung in den anderen Streamingplattformen, die wir jetzt haben, die Verbreitung von Filmen über den Kinosaal hinaus, sie ändert daran doch nichts, dass bei guten Filmen Menschen reingezogen werden in Räume und in Zeiten und durch diese Zeiten und diese Räume wandern und verändert aus diesen Zeiten und den Räumen hervortreten.  

Das kann verschiedene Facetten haben und diese verschiedenen Facetten sind vielleicht heute wichtiger denn je, sich klarzumachen: Einmal der aufklärerische Aspekt in einer Zeit der technischen Manipulation von Kunst oder Erzählformen werden wir immer stärker damit konfrontiert werden, dass das, was Benjamin analysiert hat, nämlich die Manipulierbarkeit, die inhärent in dem Filmmedium drin ist, dass sie missbräuchlich ausgenutzt wird. Und deswegen ist der Teil der Filmwirtschaft, der Aufklärerisches leistet, Dokumentarfilme, Berichte, Reportagen heute, würde ich sagen, eine Säule für Aufklärung in einer liberalen Demokratie, aber auch Schwert und Schild der liberalen Demokratie, um Fake News und Lüge zu unterscheiden von dem, was als gesicherte Erkenntnis gilt. 

Und zweitens natürlich der fiktive Bereich, ein Bereich, der die Vergangenheit in die Gegenwart holt, einen Bereich vielleicht, der die Zukunft ausmalt und dann zurück in die Gegenwart spiegelt. Wer wollen wir sein? Wer sind wir gewesen und wie entscheiden wir uns in der Gegenwart, in diesem Spannungsfeld? All das bilden sie täglich ab. All das erzählen sie in ihren Filmen, in ihren Filmen, Bergen. Das stellen die Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne dar und im besten Fall prägt es den gesellschaftlichen Diskurs über das unterhaltende Element, das ja so schön ist. Und ich mache das auch gerne über das unterhaltende Element hinaus. Die Faszination dieser Branche kann man jetzt an den ökonomischen Zahlen ablesen bzw. festmachen. Im engeren Kreis der Filmwirtschaft arbeiten in Deutschland 120.000 Menschen und der Umsatz, den sie alleine erwirtschaften, beträgt 8,6 Milliarden Euro. Das ist schon sehr erheblich, bettet sich aber ein. Und so viel Großmut muss ich heute hier walten lassen, dass auch die benachbarten Branchen und Künste mitgenannt werden können, bettet sich ein in den Umsatz der Kreativwirtschaft insgesamt, der bei 175 Milliarden Euro in Deutschland liegt, mit einer Wertschöpfung von ungefähr 100, 102 Milliarden Euro, wenn Sie es genau wissen wollen. 1,8 Millionen Menschen arbeiten im Kultur- und Kreativbereich. Ich weiß wohl, und das ist sozusagen Fluch wie Segen meines Alltags, wenn ich über Wirtschaft rede, dann rede ich in der Regel von erneuerbarer Industrie, von Stahlindustrie, von Dekarbonisierung, von Wirtschaftsförderung für den Mittelstand, von Handelsverträgen usw.. Aber ein entscheidender Bestandteil der Wirtschaft in Deutschland, der Umsätze und damit auch am Wohlstand dieses Landes sind die Kunstschaffenden und Kreativen, die eben mit ihrer Arbeit aufbauend auf der Faszination des Mediums einen großen Beitrag leisten, dass dieses Land ökonomisch stabil dasteht. 

Allerdings, und das denke ich, zeichnet diese Branche in einem besonderen Maße aus und macht sie für mich so nahbar und so sympathisch und lässt mich so wohl fühlen hier in diesem Kreis, unter den Bedingungen eines Bewusstseins, dass man eben nicht nur ein Konsumprodukt herstellt, sondern auch tatsächlich eine Arbeit an den Geschichten unserer Gesellschaft leistet. Was ich sagen will: Es gibt einen Unterschied zwischen einer Barbiepuppe und dem Film Barbie. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Konsumgut, das man verbraucht, und der Bannung von Geschichten auf die Leinwand, die Reproduzierbarkeit dessen, die Vervielfältigbarkeit gibt und ungeahnte Möglichkeiten gibt, große Stärken gibt, auch große Gefahren und große Verführbarkeit. Aber das, was am Anfang auch wohl der Gründung der SPIO steht, nämlich das Erstaunen, die Faszination darüber, dass wir das, was wir als flüchtigen Moment im Leben erleben. Jemand geht vorbei, jemand grüßt, jemand lächelt, dass wir es auf Leinwand bannen können und Trauer, Glück, Zufriedenheit, Stolz, Hoffnung in Nahaufnahme groß in Gesichtern sehen können und vervielfältigen können und wiederholen können. Dass wir uns Leidenschaft immer wieder vorführen können, um neue Leidenschaft zu entwickeln. Das ist vielleicht in Zeiten wie diesen dringender denn je. 

Und so hoffe ich und wünsche ich Ihnen und uns zum 100-jährigen Geburtstag, dass Sie diesem Auftrag treu bleiben, dass Sie über die Geschichten, die Sie sich und uns und damit der Gesellschaft erzählen, Ihren Beitrag leisten, dass wir als Gesellschaft leidenschaftlich, untergehakt, solidarisch nach vorne gehen.  

 

Vielen Dank und Happy Birthday!